Sonntag, 6. November 2011

3. Tag

 Der Pater ist heute heiser und überträgt Schwester Pia, die selbst zum Gotterbarmen hustet, die Rolle der Vorbeterin bei der Morgenandacht. Und sie meistert die Rolle tapfer. Ohnehin wächst sie mir immer mehr ans Herz. Mit ihrer patenten und bodenständigen Art betet sie sicher auch eher zum „Gott der Töpfe und Pfannen“, wie es bei Teresa von Ávila so wunderbar heißt, als sich in übertriebener Frömmigkeit zu ergehen. Ich beginne langsam, die uniforme Menge der nahezu gleich gekleideten Schwestern ein bisschen auseinander zu halten. Als ich mich nach dem Frühstück in die Essensliste eintrage, lächelt mich Schwester Gunhildis, wie ich der Liste entnehme, aus ihrem uralten, runzeligen Gesicht so voller Wärme und Güte an, dass mir das Herz aufgeht. Was immer sie im Kloster gesucht hat, sie scheint es gefunden zu haben.

Der Pater lässt es sich trotz Heiserkeit nicht nehmen, sein Impulsreferat in voller Länge abzuhalten. Es sind ja durchaus interessante Gedanken darunter, wenn er sie nur mal gescheit ausführen würde, statt sich immer wieder in seine Gedankenlabyrinthen zu verirren. Immerhin verkündet er, dass wir in den kommenden Tagen auch eigene Gedanken zum Thema äußern dürfen. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Noch betrachte ich die Impulse eher als etwas, das es zu überstehen gilt, denn als Hilfestellung oder Anregung.

Dafür habe ich eine sehr schöne Morgenmeditation. Die Worte sind allmählich versiegt. Nun beginne ich zu schweigen und lasse die Gedanken vorbeiziehen, ohne sie sonderlich zu beachten. Ich spüre, wie ich im Inneren weiter und offener werde, empfänglicher. Und zum ersten Mal, seit ich hier bin, spüre, eher ahne ich einen Moment lang eine Gegenwart, ein Gegenüber, das da ist. Er, dem meine Sehnsucht gilt. Und dieser Moment klingt noch nach.

Vor dem Essen gebe ich kurz dem Laster nach und spiele eine Runde „Pflanzen gegen Zombies“ auf dem ipod. Ich hoffe, dass die Spielgeräusche nicht bis auf den Flur dringen. Manchmal muss ich doch meiner eigenen Heiligkeit davonlaufen.

Beim Mittagessen stelle ich fest, dass die totale Konzentration auf das Essen auch von Nachteil sein kann. Dem langweiligen Ravioli-Auflauf hätte etwas kommunikative Würze gut getan. Dafür gab es zum Nachtisch ein gigantisches Spaghetti-Eis. Amüsiert stelle ich fest, dass die Schwestern zumindest der kulinarischen Fleischeslust nicht abhold sind. Fast alle verschmähen die fleischlose Essens-Variante.

Ich spüre immer deutlicher, wie der Raum, den ich in mir durch den Abstand zum Alltag und durch das beständige Schweigen schaffe, gefüllt wird von der „Stimme verschwebenden Schweigens“, wie es in der großartigen Übersetzung Martin Bubers über den Gott heißt, der Elija am Berg Horeb begegnet. Nicht der laute Gott in Erdbeben und Feuer, wie Mose ihn erfahren hat, sondern das sanfte Säuseln, die leise Stimme, die doch das ganze Innere erfüllt und zum Klingen bringt. Deshalb bin ich hier, um diese Stimme zu vernehmen, die im Alltag so oft übertönt wird, so machtvoll sie auch manchmal sein kann. Und langsam macht sie sich bemerkbar, füllt den Raum in mir immer mal wieder für kurze Augenblicke aus. Und dann weiß ich, dass es richtig war, meiner Sehnsucht zu folgen und hierher zu kommen.

Der zweite Impuls heute gerät etwas strukturierter. Zum ersten Mal sehe ich die noch recht junge Franziskanerin vor mir richtig herzhaft lächeln, während sie mir bisher immer eher gedrückt erschien. Das hellwache und geistig rege Gesicht von Schwester Gunhildis bezaubert mich erneut. Mit meiner Nachbarin zur Rechten tausche ein herzliches Lächeln. So langsam wachsen mir die Schwestern richtig ans Herz. Das was ich mir gewünscht hatte, dass hier im Schweigen eine Gemeinschaft durch wortlosen Austausch mit Blicken, Gesten, einem Lächeln entsteht, scheint zumindest im Einzelfall zu funktionieren.

Zum Schluss des Tages noch eine schöne Abendandacht. Ich schließe immer mehr meinen Frieden mit der Liturgie, die mir lange Zeit so verstaubt und erstarrt in Riten, deren Sinn kaum mehr nachvollziehbar ist, erschien. Aber die jahrhundertalte Tradition entfaltet doch ihren ganz eigenen Reiz, wenn man sich darauf einlässt und bildet ja auch eine Klammer um all die persönlichen Gotteserfahrungen. Ob ich mich allerdings je mit dem Rosenkranz anfreunden kann, wage ich zu bezweifeln. Spätestens bei der vierten Wiederholung fange ich an zu leiern: Heiligemariamuttergottesbittefürunssünderjetztundinderstundeunserestodesamen. Und ich muss aufpassen, wenigstens einmal zwischendurch Luft zu holen, um hinterher nicht laut zu japsen. Die Komplet gefällt mir jedoch sehr gut. Wenn wir gemeinsam die wunderschönen Worte „In deine Hände leg ich voll Vertrauen meinen Geist“ anstimmen und anschließend den Lobgesang des Simeon singen, der mit den Worten beginnt „Sei unser Heil, o Herr, derweil wir wachen, behüte uns, da wir schlafen, auf dass wir wachen mit Christus und ruhen in Frieden“, dann fühle ich von einem Hauch der Ewigkeit umweht und angerührt. Ich weiß jetzt schon, dass mir das fehlen wird nach dieser Woche.

Nun noch eine kurze Abendmeditation und zum Einschlafen ein paar Lieder aus Taizé, die ich mir auf den ipod geladen habe. Das ist dann noch meine persönliche Abendandacht. Ich merke, dass meine Maxime, hier möglichst nichts Weltliches einfließen zu lassen, weder bei Lektüre noch bei der Musik, auch ihren Teil zum Gelingen der Exerzitien beiträgt.

Vater, du näherst dich mir sanft und voller Zärtlichkeit. Du erfüllst mein Inneres mit Ruhe und tiefer Freude.

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