Sonntag, 6. November 2011

1. Tag

17 Uhr, ich bin angekommen. Und schon überlege ich, wie ich mich unauffällig wieder aus dem Staub machen kann. Nachdem ich bei der Anmeldung einen Blick auf die Teilnehmerliste werfen konnte, traf mich fast der Schlag: Um die zwanzig Personen standen darauf, fast ausschließlich Ordensschwestern! Und das mir, die ich mich ohnehin eher als katholische Karteileiche empfinde. In den meisten Jahren sehe ich eine Kirche nur zu Weihnachten von innen, und mein liturgisches Halbwissen besteht aus den Überbleibseln einer durchschnittlichen katholischen Kindheit in den siebziger Jahren. Und nun soll ich hier eine Woche unter lauter Nonnen verbringen?

Aber letztlich bin ich hier, um eine Woche vor Gott einfach nur da zu sein. Das war die Idee. Einer Sehnsucht zu folgen, die sich in den letzten Monaten immer stärker bemerkbar gemacht hat: „Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“ (Jer. 29,13-14). Mit diesem Versprechen im Ohr bin ich hierher gekommen. Gefunden habe ich Gott schon oft (oder er mich?), gesucht hingegen noch nie. Und ich bin gespannt, was die Suche ergibt. Nach den letzten, oft so hektischen und anstrengenden Wochen, nach zig Erledigungen, Besorgungen, abgearbeiteten to-do-Listen, Krankenhausbesuchen und nach den schönen Tagen in Frankfurt mit der lustvollen Reizüberflutung von zwei Tagen Buchmesse nun eine Woche Stille – und Gott? Im Moment erscheint er mir sehr weit weg zu sein. Ob ich ihm in dieser Woche begegnen kann?

Mit wem ich gemeinsam schweige, ist ja letztlich auch egal. So versuche ich mich über den ersten Schreck hinweg zu trösten. Allerdings fühle ich mich gerade wie eine Hobbyläuferin, die sich versehentlich beim olympischen Marathon angemeldet hat: lauter Glaubensprofis am Start, und in der letzten Reihe, ganz versteckt, eine rumstümpernde Amateurin. Andererseits, ist das hier kein Wettkampf, wer es in einer Woche am nächsten zu Gott schafft. Ich laufe halt mein Tempo. Und wer weiß, vielleicht reißen mich die Profis ja auch mit.

In einer dreiviertel Stunde gibt es Abendessen, da werde ich sie zum ersten Mal sehen.

Nach dem Abendessen:
Die Stimmung hat sich schon deutlich gebessert. Außer mir sind noch zwei weitere „weltliche“ Teilnehmerinnen hier, und mit einer hab ich mich schon ein wenig bekannt gemacht. Wir saßen am selben Tisch, und sie war ähnlich erstaunt wie ich, dass so viele Nonnen dabei sind. Es war aber auch ganz interessant, den Tischgesprächen zu lauschen, die ausdrücklich noch erlaubt waren. Da wurde sich über das Kreuz einer Schwester gewundert („so eins habe ich ja noch nie gesehen“) oder über frühere Ordenstrachten gefachsimpelt. Letztlich sind es eben doch Frauen, und Modebewusstsein gibt es offenbar auch im Kloster.
Das Essen war einfach aber durchaus lecker. Und dazu Früchtetee, über den ich doch arg schmunzeln musste. Im Kühlschrank des Speisesaals stand auch Kölsch, aber offenbar nicht für uns.

Meine weltliche Mit-Schweigerin und ich haben dann dem Pater, der unsere Exerzitien leiten wird, geholfen, den Overhead-Projektor im Gruppenraum ans Laufen zu bringen. Er bat uns jüngere Teilnehmerinnen darum, und mir lag schon auf der Zunge zu antworten, dass ich für diese Art Technik zu jung bin. Wann habe ich zuletzt einen Overheadprojektor benutzt? Aber wir haben die Technik gemeistert und uns dabei noch ein wenig unterhalten.

Nach der einführenden Abendveranstaltung überkommen mich wieder Zweifel, ob ich hier richtig bin. Der Pater scheint mir schon eher auf ein geistliches Publikum eingestellt zu sein und weniger auf Leute wie mich. Zu Beginn lässt er gleich mal drei Strophen eines Liedes singen, von dem ich nicht mal die erste kenne. Also bleibe ich stumm, während alle anderen textsicher mitsingen. Bei der Vorstellungsrunde stellt sich heraus, dass auch die weltlichen Teilnehmerinnen zumindest beruflich irgendeinen kirchlichen Bezug haben.

Ist das hier der Ort, wo ich Gott begegnen kann? Ich fühle mich fremd, exotisch und merke, wie das Unbehagen dazu führt, dass ich mich innerlich eher verschließe. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, sollte man meinen. Das Tagesprogramm ist voll, langweilig sollte es also nicht werden: Wir beginnen mit dem Morgenlob um viertel vor acht, dann Frühstück, anschließend der erste Impuls. Um elf ist Eucharistiefeier, um halb eins gibt es Mittagessen. Dann ist eine längere Pause, sofern man die Kaffeepause um halb drei auslässt. Um halb vier gibt es den zweiten Impuls, um sechs Abendessen. Und um sieben endet der Tag mit eucharistischer Anbetung und Komplet.

Führt mich das alles zu Gott? Aber vielleicht muss ich auch erst mal ankommen.
Immerhin habe ich mir vorgenommen, dass es an zu viel Ablenkung nicht scheitern soll. Ich habe als Lektüre nur die Bibel eingepackt, die ich seit Mai in einem Langzeitprojekt von vorne bis hinten lese. Der ipod durfte zwar mit, aber nur um damit geistliche Musik zu hören (naja, und vielleicht mal ein kurzes Spielchen zwischendurch zu spielen). Ansonsten keinerlei Ablenkung durch Zeitungen, Internet, Fernsehen. Wenn ich mich hier langweile, dann langweile ich mich halt vor Gott.

Vater, ich bin hierher gekommen, um einfach nur vor dir da zu sein. Hilf mir, meine Erwartungen zu zügeln und alles dir zu überlassen.

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